World Draft Cattle Symposium 2024 und Feldtag

World Draft Cattle Symposium. Zugrinder

Rückblick World Draft Cattle Symposium

Vom 8.- bis 10. März 2024 waren mehr als 130 Wissenschaftler:innen, Fachleute und Praktiker:innen aus über 20 Ländern in Lorsch zu Gast, um gemeinsam im Rahmen des World Draft Cattle Symposium 2024 über die Bedeutung von Rindern als Zugtiere zu diskutieren.
Nach eindrücklichen Eingangsstatements durch die Schirmherr:innen Wendell Berry, Helena Norberg-Hodge, Chris Smaje und Tanja Busse war der Rahmen der Konferenz sogleich abgesteckt: es sollte bei der Veranstaltung vor allem darum gehen, die Arbeit mit Zugrindern als möglichen Teil der Lösung unserer großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu verstehen – und dies völlig losgelöst von etwaiger Nostalgie. An allen drei Tagen wurden deshalb innovative Lösungsansätze diskutiert, in der Rinder im Rahmen regenerativer und nachhaltiger Landwirtschaft, im Forst, beim Transport oder sogar bei der Gewinnung von Wasser und Elektrizität eingesetzt werden können und bereits werden. Die drei Keynote-Speaker:innen Barbara Corson (USA), Paul Starkey (UK) sowie Jim Slining (USA) gaben mit Ihren Vorträgen dabei zugleich den Rahmen vor und regten zu intensivem Nachdenken an. Sachstandsberichte aus verschiedenen Ländern der Welt machten zugleich klar, dass jedes Land und jede Region spezifische Herausforderungen hat, die eigene, lokal angepasste Lösungen brauchen. Deshalb war es im Rahmen des Symposiums auch wichtig, sowohl in Theorie als auch in der Praxis unterschiedliche Anspannungs- und Ausbildungssysteme sowie Maschinen vorzustellen und zu diskutieren.
Ein weiteres zentrales Anliegen des Symposiums war außerdem der ganzheitliche Blick auf das Thema. So kamen neben Fachvorträgen zum Rindereinsatz auch Kolleg:innen aus dem Bereich Geschichtswissenschaft, Archäologie, Kunst, Museumsmanagement und Restaurierung, Ethnologie sowie Archäozoologie zu Worte. Dabei wurde deutlich, dass diese interdisziplinäre Heransgehensweise für jeden und jede Teilnehmerin kleinere und größere Anknüpfungspunkte für die eigene Arbeit lieferte. Ganz gemäß dem Motto „Gemeinsam Lösungen finden“ ergaben sich noch im Verlauf der Konferenz erste neue Kooperationsprojekte und es wurden Ideen für die Zukunft geschmiedet.
Mit großer Freude konnte im Rahmen des Symposiums schließlich auch die Schaffung eines Zentrums für Zugrinderforschung und –ausbildung am Freilichtlabor Lauresham verkündet werden. Dieses Zentrum soll in Zukunft eine zentrale Rolle bei der internationalen sowie nationalen Vernetzung einnehmen und Praktiker:innen und Fachleute zum gemeinsamen Lernen nach Lorsch bringen.

ausführlicher Artikel über das Symposium hier auf der AIMA-Seite (in Englisch) und freundlicher Weise bereitgestellt von Dr. Devinder K. Sadana ein Überblick über die Vorträge (Englisch)

eine deutsche Zusammenfassung, bereitgestellt von der Astrid (auch in der Arche Nova):

World Draft Cattle Symposium 2024 in Lorsch

Bereits vor drei Jahren hatte Claus Kropp, Leiter des Freilichtlabors Lauresham ein erstes internationales Treffen der Zugrinderleute organisiert. Bedingt durch die Beschränkungen wegen des Coronavirus, fand es rein virtuell mit knapp 500 Teilnehmern aus 38 Ländern statt. Damals war das Ziel ein erster Überblick über die weltweite Zugtierarbeit in Vergangenheit und Gegenwart. Außerdem sollten Herausforderungen, Gründe und Möglichkeiten für deren Förderung in der Zukunft unter die Lupe genommen und besprochen werden. Seinerzeit war die Bilanz: Gerade mit globaler Perspektive ist der Erhalt dieses Wissens für die Zukunft wichtig. Besonders unter dem Druck der heutigen Herausforderungen, angefangen bei der Welternährung durch unabhängige, regionale Produktion, über weltweite Konflikte bis hin zum Klimawandel und Biodiversitätsschwund können Zugtiere zu Nachhaltigkeit, Unabhängigkeit und Resilienz beitragen.

Beim diesjährigen Symposium sollte es einerseits um einen fachübergreifenden Überblick über die Forschung und das Wissen zu Zugrindern gehen. Gleichzeitig sollten neue Konzepte zur zukünftigen Bedeutung von Zugrindern als Arbeitstiere im globalen Kontext und als Teil einer nachhaltigen Zukunft diskutiert werden. Vom 8.-10.3.2024 konnten sich nun Fachleute der Anspannung von Rindern aus der ganzen Welt im Freilichtlabor treffen und sich persönlich kennenlernen oder auch wiedersehen.

Ein gut gewählter Zeitpunkt, denn während weltweit die Zahl der Zugtiere rasch sinkt, besteht gleichzeitig steigender Bedarf und Interesse an umweltschonenden und nachhaltigen Nutzungssystemen. Sinn der Konferenz war deshalb, gerade jetzt dieser nachhaltigen Kulturtechnik eine Stimme zu geben. (Anm. der Autorin, oder wie Claus Kropp bei der Planung des Symposiums zu mir sagte: „die Zugrinderarbeit aus der Schmuddelecke zu holen“; obwohl ich persönlich mich in dieser Ecke bisher ganz wohl gefühlt hatte, weiß auch ich um die Notwendigkeit des Erhalts und der Verbreitung dieses Wissens.)

Trotz Streiks sowohl der Deutschen Bahn als auch der Lufthansa hatten es 120 Teilnehmer aus 20 Ländern nach Lorsch geschafft. Weitere ca. 40 Online-Teilnehmer erweiterten die Anzahl der Herkunftsländer auf insgesamt rund 26. Das Programm fand daher durchgehend auf Englisch statt. Es war inhaltlich anspruchsvoll, insgesamt gut strukturiert und sehr eng getaktet. Der Begin am ersten Tag um 8:30h bedingte für viele Teilnehmer eine Anreise bereits am Vortag, so dass schon am Donnerstagabend, bei einem ersten gemeinsamen Abendessen in einer Pizzeria, erste Kontakte geknüpft und sprachliche Hemmschwellen überwunden werden konnten.

Nach Grußworten des stellvertretenden Direktors der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen Volker Gilbert und mehrerer Schirmherren folgten ein Vortrag von Barbara Corson, Tierärztin und Pathologin aus Pennsylvania, USA. Selbst stolze Besitzerin eines eigenen Rindergespannes, stellt sie fest, die Krisen unserer diversen heutigen Probleme können nur mit Verständnis für Menschen UND die Natur gelöst werden. Wie Paul Starkey, internationaler Berater, Universität Reading, Großbritannien, spricht auch sie von einer starken Entfremdung vieler Menschen von der Natur und der herausragenden, jahrtausendelangen Bedeutung von Rindern für die menschliche Entwicklung. Paul Starkey wünscht sich, dass trotz weltweit abnehmender Zugtierzahlen eine kritische Masse erhalten bleibt. Nur das würde den vor- und nachgelagerten Bereichen wie Sattler, Gerätehersteller usw. einen ausreichenden Markt für ihre Produkte bieten, um auch sie zu erhalten. Denn, so ist er überzeugt, nur dann wird auch Zugtierhaltung bestehen können.

Im Folgenden sowie am letzten Abend ging es unter anderem um Veränderungen an Knochen von Zugrindern. In Vorträge von chinesischen, niederländischen, eglischen, nordamerikanischen und deutschen Archäozoolog:Innen, Veterinär:Innen, Praktikern und anderen Archäolog:Innen wurden die Möglichkeiten erörtert, über die Veränderungen an hauptsächlich Fußknochen von Rindern auf deren Gebrauch als Zugrindern zu schließen. Auch die Knochen eines ehemaligen Zugochsens vom selbst anwesenden Phillipe Kuhlmann wurden dazu später gezeigt. Die vorsichtige Bilanz: man kann die Wahrscheinlichkeit einer Nutzung als Zugrindes abschätzen, allerdings nicht anhand eines einzelnen Knochens. Wichtig: die entstandenen Pathologien müssen nicht schmerzhaft gewesen sein!

Bei den nächsten Vorträgen und noch einmal am letzten Abend ging es um die Rolle der Agrarmuseen einerseits beim Erhalt der mit Zugrindern verbundenen Objekte wie Kummte und Joche. Auf der anderen Seite wurde die Wichtigkeit des Erhalts und der Vermittlung des lebendigen Wissens über die Zugrinderarbeit sowie über die Herstellung von Geschirren und Geräten bestätigt. Forscher, Kuratoren, Restauratoren und Netzwerker aus UK, USA, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland vermittelten ein rundes Bild über die wichtige Funktion von Objekten von Museen hierbei. Gerade jetzt verschwinden in Europa in rasantem Tempo die letzten Rindergespanne, zum Beispiel auf dem Balkan. Besonders beeindruckend im negativen Sinne waren Berichte aus Rumänien: Bei einem Besuch vor 20 Jahren gab es im Dorf Holbav über einhundert Rindergespanne, im letzten Jahr gab es genau dort gerade noch drei.

Mehrere Fallstudien aus Uganda, Namibia und Rumänien zeigten die wichtige (Afrika) und die schwindende Rolle (Rumänien) von Zugrindern im 21. Jahrhundert. Aus Indien wurde berichtet, es werde bereits bewusst versucht, diese umweltschonende und biodiversitätserhaltenden Wirtschaftsweise zu fördern und teilweise auch wieder einzuführen, vor allem auch, um die Ernährungssicherheit zu verbessern. Beeindruckend war die sehr hohe Anzahl autochtoner Rinderrassen in Indien. Bei der Zucht wird dieser Aspekt bei den meisten davon noch berücksichtigt.

In Beiträgen aus Spanien, Cuba, Irland und California wurden erfolgreiche moderne und traditionelle Konzepte von Market Gardening über die traditionelle Nutzung bis hin zu Ausbildung für Filmtiere und Landschaftspflege mit den ehemaligen Zugtierrassen vermittelt. Auffällig hierbei und während der gesamten Konferenz war eine Verwendung vorwiegend alter Dreinutzungsrassen. Die scheint unabhängig davon zu sein, ob traditionell und „noch“ mit Rindern gearbeitet, oder ob diese Kulturtechnik neu wieder aufgenommen wurde. Natürlich werden, wegen der Verfügbarkeit günstiger Bullenkälber von modernen Milchviehrassen, auch diese eingesetzt. Aber bewusst wird nicht nur in Museen sehr oft auf die jeweils regionalen, alten Dreinutzungsrassen zurückgegriffen.

Ökonomische und energetische Berechnungen zur Zugtierarbeit gab es aus Österreich (Ehmeier), um neue technische Entwicklungen bei Geräten für Zugtiere ging es in einem Beitrag aus Luxemburg (Schaff met Päerd), Tim Harrigan (USA) verwies auf die angemessene Skalierung der Mechanisierung in der Landwirtschaft – natürlich ebenfalls in Bezug auf Zugrinder.

Beim gemeinsamen Abendessen musizierte eine Gruppe französischer Jochbauer um Michel Nioulou, die am Samstag und Sonntag öffentlich Ihr Handwerk zur Schau stellten.

Bei unerwartet warmem und sonnigem Wetter begann der Samstagmorgen mit einem gemeinsamen Workshop zu Verhalten, Kommunikation und Training von Zugrindern durch Drew Conroy, USA, Anne Wiltafsky und Astrid Masson, Deutschland.

Nachmittags schloss sich dem ein Workshop zu den diversen Anspannungsarten wie Stirnjoch, Genickjoch, amerikanischem Halsjoch und Widerristjoch an. Praktiker, Archäologen, Tierärzte und Jochhersteller aus Frankreich, Afrika, USA und Deutschland präsentierten die verschiedenen Kummte und Joche und diskutierten über Vor- und Nachteile für verschiedenen Regionen und Nutzungsarten. Vorführungen von modernen Zugtiergeräten aus Luxemburg, Italien und Frankreich ergänzten den praktischen Teil an diesem warmen und trockenen Nachmittag.

Abends ging es in Vorträgen durch Kuratoren von Landwirtschaftsmuseen aus USA und Slovenien um die Auswahl der Sammlungsobjekte. Pete Watson von der Howell Living History Farm betonte, wie viel wir von den alten Arbeitsgeräten für Zugrinder lernen können, in Bezug auf Funktionalität, Nachhaltigkeit und auch Schönheit der alten Werkzeuge und Geräte. Er empfiehlt immer mindestens 2 gleiche Geräte anzuschaffen: eines für den aktiven Gebrauch und eines für die Sammlung.

Der zweite Abend schloss mit der Eröffnung einer großartigen Jochausstellung im Besucherzentrum von Lauresham.

Sonntag, der dritte Tag der Veranstaltung, fand vorwiegend auf Deutsch und für die Öffentlichkeit zugänglich statt. Es war gleichzeitig der jährliche Feldtag des Freilichtlabors. Auf dem ganzen Gelände und in einem angrenzenden Wald wurde mit zwei Rindergespannen Holz gerückt sowie mit 3 Pferde- und 3 Rindergespannen mit alten und modernen Geräten gepflügt, geeggt, gegrubbert, gescheibt und Dämme angelegt. Ein achtspänniges Ziegengespann fuhr mit einem kleinen Wagen Kinder über das Gelände und zahlreiche „Living History“ Tätigkeiten wurden auf dem Gelände des Herrenhofs durchgeführt. Sowohl bei den Workshops als auch am Feldtag am Sonntag wurde der kleine Bruno, ein 9 Wochen altes und bereits führiges Hinterwälderkalb mitgeführt, um sich als zukünftiges Museumstier gleich an den Trubel zu gewöhnen. Er hat die Herzen vieler Teilnehmer erobert und es wurde bereits erwogen, ihn im Flugzeug nach Amerika mitzunehmen.

Nach drei Tagen mit fachlichem Input für mindestens eine Woche, Networking und Schließen von neuen Freundschaften sind die Teilnehmer inspiriert, erschöpft und bereichert in ihre teilweise tausende von Kilometer entfernten Heimaten zurückgekehrt.

Mich persönlich am meisten gefreut und beeindruckt: sehr viele der Anwesenden, egal aus welcher Ecke der Welt, sehen einen wichtigen Grund für den Erhalt und die Fortführung der Zugrinderarbeit in der Nachhaltigkeit: Man ist buchstäblich mit den Füßen auf dem Boden, merkt jede Veränderung bezüglich Feuchtigkeit, Beschaffenheit und ist sensibilisiert für Verdichtung, Verschlämmung und weiteren Schäden. Man legt Wert auf Leichtzügigkeit und geringes Gewicht der Geräte und niedrigen Energieverbrauch, weil die Tiere einem sofort zeigen, wenn es zu schwer wird. Damit ist auch die Herstellung der Geräte selbst ressourcenschonender. Man schafft als Führer eines Rindergespannes selbst ohnehin, aber auch für andere die Möglichkeit, der Natur wieder etwas näher zu sein; „reconnecting to nature“ war ein Begriff, der so oder anders häufig bei dieser Konferenz fiel. Und davon braucht die Welt mehr,

Bilanz: Eine in jeder Hinsicht erfolgreiche Veranstaltung.

Weitere Informationen über Namen und Institutionen der Vortragenden siehe hier:

World Draft Cattle Symposium - UNESCO WELTERBE KLOSTER LORSCH
Following the great success of the Virtual World Draft Animal Congress (“Draft Animals in the Past, Present and Future”) in 2021, the World Draft Cattle…