Zugrindertreffen im Westerwald Oktober 2022

Wir Zugrinderleute holen alle Treffen der Coronajahre nach!

Aus ganz Deutschland kommen wir sonst einmal im Jahr zu 30 bis 70 Leuten zusammen. Wir interessieren uns für Zugrinder und das Arbeiten mit ihnen. Es ist ein offenes, von Verpflegung und Übernachtung abgesehen kostenloses Treffen auf einem der Betriebe mit Rinderanspannung. Unabhängig davon, ob man selbst ein (oder gar mehrere) Gespanne hat, ob man darüber nachdenkt, sich ein Gespann anzuschaffen oder vorhandene Rinder anzulernen. Ob man sich aus archäologischer, tierärztlicher, historischer, traditioneller, Tierverhalten interessierter oder züchterischer Perspektive für das Thema Rinderanspannung interessiert, ob Vorkenntnisse vorhanden sind oder nicht, jeder ist eingeladen. Denn der Hauptzweck unserer Treffen ist die Weitergabe der Leidenschaft für diese schöne alte Kulturtechnik und im Idealfall auch des Wissens darüber oder sogar des Könnens. Deshalb ist es auch immer schön, wenn neben den liebgewonnen „Stammgästen“ auch junge Leute neu dazukommen, oder noch besser nach einem ersten Treffen wiederholt dazukommen.

An diesem goldenen 8.Oktober 2022 empfingen Matthes und Astrid Höwer etwa 25 Leute im Westerwald, am Sonntag den 9.10. waren es sogar etwa 50 Menschen. Es war dieses Jahr bereits die zweite Zusammenkunft, als Ersatz für Corona-bedingt ausgefallene Treffen. Im März dieses Jahres hatte es schon eine erste Veranstaltung im Kloster Lorsch gegeben.  

Matthias Höwer züchtet seit Jahrzehnten die bedrohte Dreinutzungsrasse Glanrind, wie die über 30 Preis- und Teilnahmeplaketten bei Tierschauen an der Scheunenwand beweisen. „Matthes“ ist aber auch einer der wenigen in Deutschland, der seit seiner Kindheit durchgehend mit Ochsen und Kühen gearbeitet hat. Dabei wird er auf dem Hof von seiner Frau Astrid unterstützt. Klaus Krobb und manchmal einige Jungs aus dem Dorf helfen ihm bei der Arbeit und der Ausbildung der Rinder. In Matthes Kindheit wurden nicht nur auf dem elterlichen Hof in Siershahn, sondern im ganzen Westerwald noch Rinder angespannt. Seine Eltern waren im Ort die letzten, die noch mit Rindern arbeiteten.  Obwohl auf dem mittelgroßen Ackerbau- und Grünlandbetrieb heute die Hauptarbeit mit Traktoren erledigt wird, hat Matthes auch auf seinem Aussiedlerhof in Nordhofen die Rinderanspannung fortgesetzt. Deshalb – und weil Matthes ein Allroundtalent ist - gab es beim Treffen eine Menge alter Geräte zu bewundern, die alle in Schuss und sichtlich auch in Nutzung waren. Einige davon hatten schon seine Eltern benutzt, wie z.B. das Balkenmähwerk zum Aufsitzen mit Lattenableger sowie ein Jauchefass mit Handpumpe.

Viele der Gäste kennen sich von den Treffen seit Jahren und begrüßten sich herzlich. An einem üppigen Kuchen- und Snackbuffet konnten wir uns stärken, bevor es zur ersten Runde mit den Gespannen ging.

Eine besondere Freude ist es, wenn sich andere Gespannführer mit ihren Rindern auf den Weg zu unseren Treffen machen.

So war schon am Samstag Morgen Arne Oppermann mit seinem 8-jährigen Fleckvieh-Ochsen Victor am Hof. Ein sehr gut im Dreipolsterkummet und mit Leinen von hinten gefahrener Ochse, den Arne zum Holzrücken und für einige landwirtschaftliche Arbeiten einsetzt, aber auch auf Veranstaltungen bei der Arbeit zeigt.

Am Abend wurden wir in einem Unterstand mit Holzkamin auf dem Hof durch einen Caterer gut und deftig versorgt. Karl Wilhelm Becker zeigte anschließend ein paar Bilder von seinem Höhenvieh im Einsatz auf Veranstaltungen. Cozette Griffin Kremer erweiterte wieder unseren Horizont mit einem Blick über den deutschen Tellerrand. Sie berichtete vor allem von einem Treffen bei Phillip Kuhlmann im Elsass, seinen Wochenendveranstaltungen und vor allem seinem neu erschienenen Handbuch zur Rinderanspannung. Das Buch mit dem Titel "Manuel d’attelage bovin“ kann man direkt bei Philippe Kuhlmann für 24 Euro zuzüglich Versandkosten anfordern: Monsieur Philippe Kuhlmann, Chemin du Londenbach, 68140 Soultzeren.

Dann folgte ein weiterer Höhepunkt des Treffens: Die Welt-Uraufführung der Videodokumentation »Bauer Matthes und der Ochse Fritz« – ein Film über bäuerliches Leben - so wie es mal war von Edwin Rotzal.

Es ist ein wunderschöner Film entstanden, in dem mithilfe des mittlerweile 9-jährige Glanvieh-Ochsen Fritz auf einigen 1000m² alle Arbeiten des Roggen-, Hafer und Kartoffelanbaus einschließlich der Ernte erledigt wird. Wenn die Bilder nicht in Farbe wären, könnte man denken, es sei ein 100 Jahre alter Film: Vom Pflügen, der Saatbett-Bereitung mit Eggen, dem Säen mit der Hand aus einer Saatwanne, dem Schneiden mit dem Messerbalken, vom Ochsen gezogen, bis hin zum Aufladen der handgebundenen Garben des mit dem Messerbalken geschnittenen Korns.

Alles in historischer Anspannung mit Stirnjoch und alles mit historischen Geräten. Und alles mit Hilfe von Klaus Kropp und den Dorfjungs und natürlich von Fritz, der die Geräte und Wagen zog. Klaus Kropp ist übrigens nicht zu verwechseln mit Claus Kropp, dem Museumsleiter des Freilichtlabors Lorsch, der ebenfalls mit Zugrindern unterwegs ist und als Gast am Samstag anwesend war.

In den Pausen erklärte Anne Wiltafsky Interessierten etwas zur Körpersprache der Rinder: Auf dem Bild nebenan zeigt sie, wie Ochse Fritz seine linke Seite, insbesondere den Hals zur Fellpflege für Anne „aufmacht“.


Am Sonntagvormittag bereicherten dann noch die Familie Döring mit ihrem Rätischen Grauvieh die Veranstaltung und Familie Volker und Jessika Wolf reisten mit der Rätischen Grauvieh-Kuh Bella aus Döringscher Zucht an. Auch diese Rinder sind hervorragend gefahrene Tiere. Alle Tiere wurden an diesem Tag noch zweimal angespannt. Bei einem morgendlichen Spaziergang führte zunächst Klaus Krobb den Ochsen Fritz, aber auch Axel Göbel und Karl Wilhelm Becker kamen in den Genuss, den beeindruckenden Ochsen zu führen. Matthes führte sein Nachwuchsgespann persönlich mit einer Reifenschleppe zum Anlernen. So entstand am zweiten Tag ein stattlicher kleiner Konvoi von Zugtieren, mit historischen Wagen und Schleppen mit Matthes Geräten darauf. Auf den Ackerflächen angekommen, beteiligten sich alle Gespanne an der Winterbestellung: zunächst wurde ein kleines Stück gepflügt, gegrubbert und dann geeggt und Wintergetreide gedrillt. Außerdem wurde auf der Weide, die als Parkplatz vor der Veranstaltung gemäht wurde, mit dem Gabelwender gewendet. Dann ging es mit allen Gespannen und Geräten wieder zurück zum Hof.


Mir persönlich hatten es die 2 Glanvieh-Färsen Amy und Kim angetan. Sie zogen mit ihren Stirnjochen zu zweit schon ihren Reifen. Zwei junge Mädchen aus Matthes Verwandtschaft hatten sie im Winter durch Bürsten und Füttern aus der Hand gezähmt und damit das Anlernen stark erleichtert. Als Matthes die Färsen abgespannt hatte und ich sie nach der Arbeit am Wegrand am Strick noch etwas grasen lies, übernahmen die beiden Mädchen die Tiere und führten sie stolz und schon sehr professionell noch etwas auf dem Hof und zwischen den Leuten herum.

Es besteht also Hoffnung auf Fortführung dieser schönen und wichtigen Tradition auf dem Hof Eschenflur in Nordhofen!

 

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